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Nachruf auf Prof.Dr.Walter Felscher
Nachruf auf Prof. Dr. Walter Felscher
(abgedruckt in: Tuebinger Universitaetsnachrichten, 9.April 2001 Jahrgang
21 Nr.100)
Am 9.12.2000 verstarb ploetzlich und unerwartet Walter Felscher, der
Tuebinger Mathematiker und Logiker, im Alter von 69 Jahren. Geboren am
12.10.1931 in Brandenburg/Havel, wo er auch Abitur machte, studierte er an
der Freien Universitaet Berlin Mathematik, insbesondere Algebra und
Geometrie, und promovierte dort 1956. Nach zwei Jahren Assistentenzeit in
Berlin wechselte er 1958 als Assistent an die Universitaet Freiburg, wo er
sich 1960 auch habilitierte und 1961 eine Diaetendozentur erhielt.
Laengere Auslandsaufenthalte fuehrten ihn nach Berkeley und Halifax
(Kanada). Im Jahre 1971 wurde er auf einen Lehrstuhl an der Mathematischen
Fakultaet der Universitaet Tuebingen berufen.
Hier vertrat Walter Felscher die Mathematische Logik. Mit der Einrichtung
dieses Lehrstuhls reihte sich Tuebingen in die Orte wie Muenster,
Freiburg, Bonn und Muenchen ein, an denen Mathematische Logik als
eigenstaendige Teildisziplin der Mathematik vertreten war - eine
Entwicklung, die mit der Errichtung des ersten Instituts fr Mathematische
Logik in Muenster durch den zur Logik uebergewechselten
Religionsphilosophen Heinrich Scholz begonnen hatte. Walter Felscher
verstand sich dabei nicht nur als Vertreter der Mathematischen Logik im
engeren systematischen Sinne, sondern bezog in seiner Lehre und Forschung
neben der Mathematik im allgemeinen sowohl die Geschichte von Mathematik
und Logik als auch die Philosophie der Mathematik mit ein. Diese
Ausrichtung kommt im uebrigen auch in der Bezeichnung zum Ausdruck, die
die Mathematische Fakultt spaeter seinem Lehrstuhl gegeben hat: "Logik,
Grundlagen, Geschichte der Mathematik". Walter Felscher hat sich
schliesslich im Laufe seiner Taetigkeit immer mehr solchen logischen
Anstzen zugewandt, die in der Informatik (im theoretischen Sinne,
verstanden als Theorie des Rechnens) eine Rolle spielen. Daher war es nur
folgerichtig, dass er 1990 in der neugegruendeten Tuebinger
Informatik-Fakultaet seine Heimat sah und in diese ueberwechselte. Zu
Walter Felschers Buechern gehoert ein dreibaendiges Werk ueber Mengen und
Zahlen, ein umfangreiches Lehrbuch zur Theorie der Berechenbarkeit und,
als zentrales Lebenswerk, seine dreibaendigen "Lectures on Mathematical
Logic", deren Erscheinen er im Jahr vor seinem Tod noch erleben konnte.
Seine Arbeiten, insbesondere die "Lectures", zeichnen sich dadurch aus,
dass sie vergleichsweise breit und detailliert angelegt sind und auch
elementare Tatsachen beweisen. Sie schliessen damit bewusst an die
klassischen Darstellungen der mathematischen Logik aus den dreissiger bis
fuenfziger Jahren an.
Walter Felscher hatte eine ungewoehnlich breite Allgemeinbildung. Er
sammelte mit Leidenschaft Buecher und besuchte dazu regelmaessig
Antiquariate und antiquarische Auktionen im In- und Ausland. Seine
Privatbibliothek mit einem Umfang von mehr als 6.000 Baenden enthielt
neben mathematischen Lehrbchern Titel aus den verschiedensten
Wissensgebieten. Besonderes auffallend ist die Vielzahl der Buecher zu
historischen Themen, vor allem zur franzoesischen und deutschen
Geschichte, und die repraesentative Sammlung deutscher Literatur.
Wer Walter Felscher naeher kannte, war beeindruckt von seiner
persoenlichen Integritaet und Zuverlaessigkeit. Seit seiner Gymnasialzeit
in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR hatte er es sich zum Prinzip
gemacht, ideologischen Vorgaben nicht nachzugeben. Diese Geradlinigkeit
seines Charakters hat ihm in der naturgemaess auf Kompromisse
ausgerichteten Universitaetspolitik (z.B. im Studienjahr 1972/73 als
Dekan) nicht nur Freunde gemacht und ist haeufig missverstanden worden.
International genoss Walter Felscher als einer der wenigen herausragenden
deutschen mathematischen Logiker grosses Ansehen. Er war regelmaessig
Mitveranstalter der jaehrlichen Tagung zur mathematischen Logik am
Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach, bei der sich die Elite des
Faches traf. Studierende hatten immer viel Respekt vor ihm. Seine
Vorlesungen waren sehr anspruchsvoll. Wer bei ihm "durchhielt",
profitierte enorm von seinem Unterricht. Er hatte exzellente Doktoranden
und Habilitanden einige sind inzwischen selbst als Hochschullehrer ttig.
Prof. Dr. Peter Schroeder-Heister
Fakultaet fuer Informatik